Qualifizierung und Klassifizierung von Software unter MDR und IVDR: Wichtige Grundlagen für Medizinprodukte-Software (MDSW)

05.11.2024
Textbild "MDSW unter MDR und IVDR: Qualifizierung und Klassifizierung von Medizinprodukte-Software" - Metecon GmbH
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Software, die für spezifische medizinische Zwecke entwickelt wurde, unterliegt unter der Medical Device Regulation (Verordnung (EU) 2017/745 (MDR)) oder der In Vitro Diagnostic Medical Device Regulation (Verordnung (EU) 2017/746 (IVDR)) komplexen Qualifizierungs- und Klassifizierungsprozessen. Gemeinsam erörtern wir im Folgenden die Anforderungen, die an Medizinprodukte-Software (MDSW) gestellt werden – unabhängig davon, ob diese Software ein eigenständiges (standalone) Medizinprodukt ist (Software as Medical Device (SaMD)) oder in die Hardware von Medizinprodukten eingebettet ist (embedded). Dabei gehen wir auch auf die entsprechenden MDCG-Leitfäden ein. Erfahren Sie, wie eine genaue Einstufung und eine frühzeitige Abstimmung mit Benannten Stellen zu einer sicheren und regelkonformen Umsetzung beitragen.

Was gilt als Medizinprodukte-Software (MDSW)?

Eine Medizinprodukte-Software (MDSW) ist unter MDR und IVDR zu verstehen als Software, die für Menschen bestimmt ist und allein oder in Kombination einen oder mehrere spezifischen medizinischen Zwecke erfüllt, die in der Definition eines Medizinprodukts aufgeführt sind (Artikel 2 (1) (MDR)). Dabei kann MDSW als eigenständige Anwendungen funktionieren (standalone) oder in die Hardware von Medizinprodukten eingebettet sein (embedded).

Damit eine adäquate Überwachung der Qualität und Sicherheit von MDSW durch Benannten Stellen sichergestellt wird, definieren MDR und IVDR selbstverständlich auch die Anforderungen an die Qualifizierung und Klassifizierung von MDSW. Diese Qualifizierung und Klassifizierung erfolgt auf Grundlage der Zweckbestimmung, der Risiken und der Auswirkungen auf die Patientengesundheit.

Durch die Definition der MDSW ergibt sich, dass eine MDSW einen oder mehrere spezifischen medizinischen Zwecke erfüllen muss und somit die Zweckbestimmung des Herstellers für die Qualifizierung als MDSW entscheidend ist. Weder die Laufzeitumgebung (z.B. Cloud, Hardware eines Medizinprodukts) noch die Funktionalität als eigenständige oder eingebettete Software haben einen Einfluss auf die Qualifizierung.

Eine Software ohne eigenen medizinischen Zweck, die ein Medizinprodukt oder Zubehör eines Medizinproduktes steuert oder dessen Anwendung beeinflusst, kann hingegen nicht als MDSW qualifiziert werden, sondern fällt entweder als Teil/Bestandteil eines Produktes oder als Zubehör für ein Medizinprodukt unter die MDR und IVDR. Entscheidend ist hier, dass diese Software keine Informationen im Sinne eines medizinischen Zwecks selbst generiert.

Software kann selbstverständlich Merkmale aufweisen, die nicht unter die MDR oder IVDR fallen. So sind beispielsweise Informationssysteme, die nur dazu bestimmt sind, Daten zu übertragen, zu speichern, zu konvertieren, zu formatieren und zu archivieren nicht als Medizinprodukte anzusehen. Erlaubt die Softwarearchitektur den Aufbau dieser Merkmale in Modulen, ist die Qualifikation und Klassifizierung auch auf Modulebene zulässig, wenn die Funktionalität der Module von den anderen Modulen unabhängig ist.

Damit lassen sich Software oder Software-Module, die im Gesundheitswesen eingesetzt wird, unterscheiden in:
  • MDSW
    • eigenständige Anwendung (standalone) oder
    • in die Hardware von Medizinprodukten eingebettet (embedded)
  • Software, die ein Medizinprodukt oder Zubehör eines Medizinprodukt steuert oder dessen Anwendung beeinflusst
    • Zubehör: eigenständige Anwendung (standalone) oder
    • Teil/Bestandteil: in die Hardware von Medizinprodukten eingebettet (embedded)
  • Software, die nicht als Medizinprodukt anzusehen ist
    • eigenständige Anwendung (standalone) oder
    • in die Hardware von Medizinprodukten eingebettet (embedded)

Achtung: Wie an dieser Auflistung unschwer zu erkennen ist, ist Medizinprodukte-Software unter der MDR und IVDR nicht gleichzusetzen mit Software als Medizinprodukt (Software as Medical Device (SaMD)) nach IMDRF-Definition.

Was gilt es zu tun?

Qualifizierung

Der Leitfaden MDCG 2019-11 "Guidance on Qualification and Classification of Software in Regulation (EU) 2017/745 – MDR and Regulation (EU) 2017/746 – IVDR" ermöglicht in zwei Schritten die Entscheidung, welche Software an sich unter welche Medizinprodukteverordnung fällt. Die Kriterien für die Qualifizierung werden in
  • detaillierte Erläuterungen und Definitionen sowie
  • Entscheidungsbäumen spezifiziert.
Die MDCG hat als ein weiteres Hilfsmittel eine Infografik der Entscheidungsschritte zur Unterstützung der Qualifizierung von MDSW erstellt.

Klassifizierung

Sobald eine Software unter eine Medizinprodukteverordnung fällt, muss sie gemäß den Klassifizierungsregeln der MDR oder IVDR klassifiziert werden. Die Klassifizierung bestimmt das anzuwendende Konformitätsbewertungsverfahren und die Einbeziehung einer Benannten Stelle.

Die Klassifizierung ist risikobasiert und konzentriert sich auf die möglichen Auswirkungen der Software auf die Gesundheit der Patienten. Die Risiken, die mit der Anwendung von MDSW einhergehen, unterscheiden sich grundsätzlich nicht von den Risiken anderer Medizinprodukte. Es gibt allerdings auch software-spezifische Risiken wie Cybersecurity-Bedrohungen.

Hilfestellung und Erläuterungen zu den Klassifizierungsregeln der MDR und IVDR finden sich auch in den Leitfäden MDCG 2021-24 "Guidance on classification of medical devices" und MDCG 2020-16 Rev. 3 "Guidance on Classification Rules for in vitro Diagnostic Medical Devices under Regulation (EU) 2017/746".

Im europäischen Raum ist grundsätzlich vorgesehen, Software eine höhere Risikoklasse zuweisen, so dass es nur wenige MDSW geben wird, die in die Klasse I oder Klasse A eingestuft werden können:
  • Die MDR enthält als eigene Klassifizierungsregel für Software die Regel 11, die einer "Software, die dazu bestimmt ist, Informationen zu liefern, die zu Entscheidungen für diagnostische oder therapeutische Zwecke herangezogen werden" mindestens die Klasse IIa zuordnet. Hier sind explizit die Auswirkungen auf die Patientengesundheit zu betrachten und eine Zuordnung von MDSW in die Klassen IIb und III möglich.
  • Unter der IVDR werden MDSW für sich allein klassifiziert. Software, die ein Medizinprodukt oder Zubehör eines Medizinprodukt steuert oder dessen Anwendung beeinflusst, wird derselben Klasse zugerechnet wie das Medizinprodukt oder Zubehör eines Medizinprodukt.

Was wir Herstellern raten

Die Interpretation der gesetzlichen Anforderungen bleibt trotz der Erläuterungen in den verschiedenen Guidances aufgrund zahlreicher Interpretationsspielräume herausfordernd. Hersteller von MDSW sollten daher die Klassifizierung frühzeitig mit der Benannten Stelle abstimmen. So vermeiden Sie, dass zu viel Zeit in die Vorbereitung eines Konformitätsbewertungsverfahrens gesteckt wird, das aus Sicht der Benannten Stelle die falsche Wahl ist.

Bei Fragen zur Qualifizierung und Klassifizierung Ihrer Software oder zu den anzuwendenden Normen in den Bereichen Risikomanagement, Gebrauchstauglichkeit, Lebenszyklusanforderungen oder Sicherheit stehen Ihnen unsere Experten gerne beratend zur Seite. Wenden Sie sich bei Fragen dazu entweder direkt an den Autor oder nutzen Sie unser Kontaktformular.
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Dr. Otmar Lienhart
Dr. Otmar Lienhart
Regulatory Affairs IVD
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