Nicht-interventionelle Studien (NIS): Umsetzung, Nutzen und Best Practices für Regulatory Compliance
10.02.2025
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Nicht-interventionelle Studien (NIS) spielen eine zentrale Rolle bei der Sammlung klinischer Daten im Rahmen des Post-Market Clinical Follow-up (PMCF) und erfüllen regulatorische Anforderungen gemäß Medical Device Regulation (Verordnung (EU) 2017/745 (MDR)) und ISO 14155. In den letzten Jahren ist das Interesse an NIS deutlich gestiegen, da Hersteller von Medizinprodukten und Arzneimitteln zunehmend belastbare klinische Nachweise für die Sicherheit und Leistung ihrer Produkte erbringen müssen.Doch was genau macht eine NIS aus? Welche regulatorischen Rahmenbedingungen sind zu beachten? Und wie lässt sich eine nicht-interventionelle Studie effizient und regelkonform umsetzen? In diesem Beitrag erfahren Sie, welche Kriterien eine beobachtende Studie erfüllen muss, welche ethischen und rechtlichen Aspekte relevant sind und wie Sie NIS gezielt für Ihr Regulatory Compliance Management nutzen können.
Der Hauptprüfer muss:
Die Prüfstelle muss:
Marie-Laure Castelain
Rückblick: Die Entwicklung der Definition von NIS
Nicht-interventionelle Studien (NIS) sind kein neues Konzept, sondern haben sich über die Jahre aus regulatorischer Sicht weiterentwickelt. Bereits in den frühen 2000er-Jahren wurde auf europäischer Ebene eine Abgrenzung zwischen klinischen Prüfungen und rein beobachtenden Studien getroffen. In Deutschland etablierte sich hierfür der Begriff „Anwendungsbeobachtung“, der vor allem im Bereich der Arzneimittelstudien verwendet wurde.Mit der zunehmenden Bedeutung von klinischen Daten für Medizinprodukte wurden auch für die Medizintechnik spezifische Leitlinien entwickelt. Die heute maßgeblichen Vorgaben zur Abgrenzung nicht-interventioneller Prüfungen finden sich in der ISO 14155 (aktuell DIN EN ISO 14155:2021-05) sowie in der MDR. Wesentliche Kriterien für eine NIS sind unter anderem:- Das Medizinprodukt wird im Rahmen seiner zugelassenen Zweckbestimmung angewendet.
- Die Entscheidung für den Einsatz eines bestimmten Produkts erfolgt unabhängig von der Studie und entspricht der klinischen Routine.
- Es gibt keine zusätzlichen belastenden oder invasiven Verfahren, die über die reguläre Behandlung hinausgehen.
- Die erhobenen Daten werden mit epidemiologischen Methoden analysiert.
Ihr 10 Punkte-Programm zum NIS-Kenner
(1) Prüfungsteilnehmer oder Patient?
Im Kontext einer NIS sprechen wir nicht länger von Prüfungsteilnehmern, sondern von Patienten. Gemäß MDR Art. 2 (50) sind Prüfungsteilnehmer Personen, die an einer klinischen Prüfung teilnehmen. Da NIS in der klinischen Routine durchgeführt werden, trifft diese Bezeichnung hier nicht zu.(2) Plan: ja oder nein?
Laut Anhang A der ISO 14155 müssen einige Anforderungen an den Clinical Investigation Plan (CIP) auch für eine Anwenderbeobachtung bzw. NIS erfüllt sein. Allerdings können bestimmte Punkte entfallen, da viele Inhalte bereits durch die Zulassungsdokumentation des Produkts vorgegeben sind.(3) Zusätzliche Belastungen oder invasive Maßnahmen?
Der Arbeitskreis Medizinischer Ethik-Kommissionen in der Bundesrepublik Deutschland e.V. hat 2016 eine beispielhafte Liste potenziell belastender oder invasiver Verfahren veröffentlicht, darunter Ultraschalluntersuchungen, Blutentnahmen, Provokationstests und jegliche Strahlenanwendungen. Die MDCG 2021-6 (Questions & Answers regarding clinical investigation) definiert unter Punkt 13 belastende Untersuchungen als Verfahren, die mit Schmerzen, Unwohlsein, Angst, potenziellen Risiken oder Nebenwirkungen, Beeinträchtigungen des gewöhnlichen Lebens und persönlicher Aktivitäten oder anderweitig unangenehmen Erfahrungen verbunden sind. Invasive Untersuchungen definiert die Guidance als Verfahren, die mit dem Eindringen in das Körperinnere durch die Körperoberfläche, einschließlich der Schleimhäute von Körperöffnungen, oder mit dem Eindringen in eine Körperhöhle über eine Körperöffnung verbunden sind. Zudem wird darauf hingewiesen, dass sich die Definition von Invasivität über die Zeit weiterentwickeln kann.Daher sollte im CIP explizit diskutiert werden, ob ein Verfahren als belastend oder invasiv einzustufen ist.(4) Motivierte Studienärzte finden
Ein engagierter Studienarzt ist essenziell für den Erfolg einer NIS. Ideal ist ein Arzt, der Interesse an wissenschaftlicher Forschung oder einer Publikation hat – das kann nicht nur die Datenqualität verbessern, sondern auch die Akzeptanz der Studie in der medizinischen Fachwelt erhöhen.Die DIN EN ISO 14155:2021-05 (Anhang I.7d) macht deutlich, dass für eine Nicht-Interventionelle Studie (NIS) nicht dieselben Anforderungen an Studienärzte gelten wie für eine klinische Prüfung nach MDR Art. 62. Dennoch müssen bestimmte Mindestanforderungen erfüllt sein:Anforderungen an den HauptprüferDer Hauptprüfer muss:
- einen in einem EU-Mitgliedstaat anerkannten Beruf ausüben, der ihn für die Rolle als Prüfarzt qualifiziert. Er muss insbesondere über fachliche Expertise im jeweiligen medizinischen Bereich und Erfahrung in der Patientenbetreuung verfügen (MDR Art. 62 (6)),
- durch Ausbildung, Schulung und Erfahrung qualifiziert sein, die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung der Studie gemäß den Anforderungen der ISO 14155 zu übernehmen. Diese Qualifikation muss durch einen aktuellen Lebenslauf oder andere relevante Dokumente nachgewiesen werden (DIN EN ISO 14155:2021-05, Kap. 10.2),
- Erfahrung mit dem Prüfprodukt haben und in dessen Anwendung geschult sein,
- potenzielle Interessenkonflikte (z. B. finanzielle Anreize) offenlegen, die die Durchführung oder Interpretation der Studie beeinflussen könnten,
- mit dem Verfahren zur Einwilligung nach Aufklärung vertraut sein.
Die Prüfstelle muss:
- über eine ausreichend große Patientenbasis verfügen, um innerhalb des vorgesehenen Zeitraums genügend Studienteilnehmer zu rekrutieren,
- ein qualifiziertes Team mit entsprechenden Nachweisen (Lebensläufe, Schulungen) haben,
- über geeignete technische und räumliche Ressourcen für die Studie verfügen.
- Setzen Sie bei der Auswahl der Prüfärzte auf Fachärzte mit einer hohen Patientenanzahl, um eine gute Rekrutierung sicherzustellen.
- Ärzte mit wissenschaftlicher Motivation oder Interesse an fachlichen Veröffentlichungen können als Multiplikatoren dienen.
- Ein Erstgespräch mit potenziellen Prüfärzten hilft, ihre Erwartungen und mögliche Herausforderungen frühzeitig zu identifizieren.
(5) Klinische Praxis im Vorfeld mit Ärzten abstimmen
Besprechen Sie mit ärztlichen Fachkräften, wie die klinische Praxis für Ihr Medizinprodukt aussieht. So stellen Sie sicher, dass der Beobachtungsplan praxisnah und realistisch gestaltet wird.(6) Ziele der Studie (Endpunkte) festlegen und Beobachtungsplan erstellen
Eine strukturierte Beobachtung hilft, relevante klinische Daten systematisch zu erfassen, sodass keine wichtigen Informationen verloren gehen.(7) Zusätzlichen Verfahren im Vorfeld prüfen
Falls zusätzliche Verfahren (z. B. Sehtests, Fragebögen, Gehtests) notwendig sind, sollten diese im Vorfeld hinsichtlich Risiken und Belastungen für die Patienten diskutiert werden. In der Regel sind Fragebögen unproblematisch.(8) WICHTIG: Was keine Beobachtungsstudie ist!
- Nutzung eines Medizinprodukts über seinen bestimmungsgemäßen Gebrauch hinaus – dies erfordert nach MDR Artikel 74(2) eine klinische Prüfung.
- Einsatz eines nicht-CEW_gekennzeichneten Produkts – dies entspricht nicht der klinischen Praxis. (Beobachtungsstudien sind per Definition immer Post-Market-Studien.)
- Randomisierte Studien – diese sind per Definition keine NIS, da sie nicht mehr „beobachtend“ sind (siehe DIN EN ISO 14155:2021-05, I.4.4).
(9) NIS = Post-Market Clinical Follow-Up-Studie ohne zusätzliche Belastungen
Eine NIS zählt als Post-Market Clinical Follow-up (PMCF)-Studie, sofern keine zusätzlichen belastenden oder invasiven Verfahren durchgeführt werden.- Es besteht keine Anzeige- oder Genehmigungspflicht bei Ethik-Kommissionen oder Bundesoberbehörden.
- Allerdings müssen sich Prüfärzte gemäß Berufsordnung (§ 15) von der zuständigen Ethik-Kommission beraten lassen.
- Meldungen schwerwiegender unerwünschter Ereignisse (serious adverse events/SAE) im Rahmen der Anwendungsbeobachtung sind nicht erforderlich, jedoch ist weiterhin die Meldepflicht für Vorkommnisse zu beachten.
(10) Registrierungspflicht
Registrieren Sie Ihre NIS vor Studienbeginn in einer öffentlichen Studiendatenbank (z. B. ClinicalTrials.gov oder DRKS). Diese Registrierung wird auch von der MDCG 2021-6 empfohlen. Falls die Registrierung vergessen wurde, sollte sie nachträglich erfolgen – besser spät als nie!PMCF-Studien gemäß Art. 74 MDR, die zusätzliche belastende oder invasive beinhalten und somit keine NIS sind), müssen ebenfalls bei der Bundesoberbehörde angezeigt werden (siehe § 85 Nr. 6 MPDG). Diese Anzeige muss spätestens 30 Tage vor Beginn der Prüfung zu erfolgen. Unberührt davon bleibt die Pflicht für involvierte Prüfärzte, sich nach Berufsrecht durch die Ethik-Kommission beraten zu lassen.Fazit
Die Durchführung einer nicht-interventionellen Studie erfordert ein fundiertes Verständnis der regulatorischen Anforderungen, der ISO 14155, der MDR und der nationalen Vorschriften. Eine präzise Planung, die richtige Studienmethodik und eine enge Abstimmung mit den zuständigen Behörden und Ethik-Kommissionen sind entscheidend für eine erfolgreiche Umsetzung.Als erfahrene Berater im Bereich Regulatory Compliance unterstützen wir Hersteller von Medizinprodukten dabei, NIS strategisch zu planen und regelkonform durchzuführen. Von der Studienkonzeption über die Dokumentation bis hin zur klinischen Bewertung – wir helfen Ihnen, Ihre klinischen Daten effizient zu generieren und Ihre regulatorischen Verpflichtungen zu erfüllen.Wenn Sie Fragen zur Umsetzung einer nicht-interventionellen Studie haben oder eine individuelle Beratung wünschen, sprechen Sie uns gerne direkt an. Wir freuen uns auf den Austausch!
Medical Device Expert
Clinical Affairs & PMCF