Von Risikomanagement bis Biokompatibilität: Was gilt für Nanomaterialien in Medizinprodukten?

18.04.2023
Textbilder zum Thema Von Risikomanagement bis Biokompatibilität: Was gilt für Nanomaterialien in Medizinprodukten? -EN- Metecon GmbH
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Nanomaterialien können unter anderem die Funktionalität von Medizinprodukten verbessern. Allerdings sind ihr Nutzen und ihre Risiken noch nicht abschließend geklärt. Daher stellen sie besondere Anforderungen an das Risikomanagement und die Technische Dokumentation – vor allem, wenn es um die Prüfung ihrer Biokompatibilität geht. In diesem Beitrag geben wir einen kompakten Überblick zu Nanomaterialien in Medizinprodukten. Im Mittelpunkt stehen dabei die regulatorischen Anforderungen hinsichtlich der Biokompatibilität nach ISO 10993-1.

Die Verordnung (EU) 2017/745 (MDR) und ISO 10993 befassen sich dediziert mit Nanomaterialien und ihrer (biologischen) Risikobewertung. Was bedeuten deren Ausführungen für die Hersteller von Medizinprodukten? Wir beantworten in diesem Beitrag fünf wichtige Fragen rund um Nanomaterialien in Medizinprodukten.

1. Was sind Nanomaterialien aus Sicht der MDR?

Die EU-Kommission definiert Nanomaterialien gemäß 2011/696/EU wie folgt:
  • ungebundene oder aggregierte Partikel,
  • mit einer Größenverteilung von mindestens 50 % der Partikel im Bereich zwischen 1 nm und 100 nm.
Diese Definition greift auch die MDR auf, wobei sie unter dem Begriff "Nanomaterial" natürliche Materialien, zufällig vorhandene Partikel oder eigens hergestellte Nanomaterialien subsumiert.

2. Wo werden Nanomaterialien verwendet?

Nanomaterialien werden zum einen für die gezielte Funktionalisierung von Medizinprodukten hergestellt. Zum anderen können sie auch als Nebenprodukte auftreten:
  • unbeabsichtigt als Rückstände und Verunreinigungen im Rahmen der Produktherstellung oder
  • beabsichtigt während der klinischen Anwendung wie beispielsweise durch Abrieb der Oberfläche aufgrund von Verschleiß.
Bekannte Beispiele sind:
  • keramische Nanomaterialien als Bestandteile dentaler Sintermaterialien,
  • speziell strukturierte oder funktionalisierte Oberflächen wie beispielsweise Nanosilber-Beschichtungen,
  • hochfeste faserverstärkte Verbundmaterialien wie Carbon-Nanotubes.

3. Welche MDR-Klassifizierung gilt für Nanomaterialien?

Aufgrund der ungeklärten Nutzen-Risiko-Situation bei der Anwendung von Nanomaterialien sollte eine Bewertung auf der Basis eines risikobasierten Ansatzes erfolgen. Dabei gilt es, die Art und Dauer der Exposition als auch die spezifischen Eigenschaften und Anwendungshistorie der verwendeten Nanopartikel zu berücksichtigen.

Dieser risikobasierte Ansatz findet sich ferner in den Klassifizierungsregeln des MDR-Kapitels III wieder. Dort werden Nanomaterialien mit der spezifischen Klassifizierungsregel 19 berücksichtigt. Demnach werden Medizinprodukte, die Nanomaterialien enthalten oder daraus bestehen, den folgenden Risikoklassen zugeordnet:
  • der Klasse III, wenn sie ein hohes oder mittleres Potenzial für interne Exposition haben,
  • der Klasse IIb, wenn sie ein niedriges Potenzial für interne Exposition haben, und
  • der Klasse IIa, wenn sie ein unbedeutendes Potenzial für interne Exposition haben.
Somit wird die Sicherheit von Nanomaterialien nach dem Expositionsrisiko bewertet, dem der Patient ausgesetzt ist.

4. Was macht die Biokompatibilität von Nanomaterialien aus?

Allgemeine Grundlage für die Bewertung der Biokompatibilität von Nanomaterialien ist die ISO 10993-1. Demnach wird sie in einem risikobasierten Ansatz nach ISO 14971 bewertet:
  • nach Art und Dauer des Körperkontakts und
  • anhand der verfügbaren Daten und der identifizierten Risiken.
Der Risikomanagementprozess ist auch auf Produkte anwendbar, bei denen Nanomaterialien als Abbauprodukte durch Abnutzung oder durch mechanische Bearbeitung entstehen (z. B. In-situ-Abrieb oder Abrieb beim Polieren von Medizinprodukten).

Bei der biologischen und toxikologischen Bewertung von Nanomaterialien gibt es eine Besonderheit: Je nach Partikelform und -größe sowie der geplanten Anwendung und Expositionsroute können Materialien mit der gleichen chemischen Zusammensetzung unterschiedliche toxikologische Eigenschaften haben. Neben der chemischen Charakterisierung ist es wichtig, die spezifischen Wechselwirkungen mit dem umgebenden Gewebe am Ort der Exposition gesondert zu betrachten.

Nanomaterialien haben ähnliche Größen wie Strukturen auf subzellulärer Ebene, einschließlich der DNA. Daher können sie theoretisch diese Strukturen erreichen und mit ihnen interagieren. Diese Möglichkeiten sind insbesondere für nanofunktionalisierte Medizinproduktoberflächen relevant. Ihre Beschichtungen, Funktionalisierungen oder andere topografische Merkmale zur Funktionalisierung des Produkts können unbeabsichtigte oder bisher unzureichend bekannte Auswirkungen haben.

5. Wie wird die Biokompatibilität von Nanomaterialien nach ISO 10993-1 geprüft?

Bei der Biologischen Beurteilung nach ISO 10993-1 müssen die oben beschriebenen Zusammenhänge berücksichtigt werden. Es hat sich gezeigt, dass die Oberflächentopografie im Nanomaßstab die Ausrichtung, Morphologie und Signalwege von Zellen sowie die Genexpression und extrazelluläre Matrix beeinflussen kann.

Zusätzlich zur ISO 10993-1 gibt der Leitfaden ISO/TR 10993-22 eine Hilfestellung bei der Bewertung der Nanomaterialien in Medizinprodukten.

Die ISO/TR 10993-22 unterscheidet fünf Kategorien von Nanomaterialien:
  1. Oberflächen-Nanostrukturen,
  2. Nano-Objekte, die an ein Medizinprodukt gebunden oder in dieses integriert sind, ohne dass eine Freisetzung beabsichtigt ist,
  3. Nano-Objekte/Nanostrukturen auf der Oberfläche oder innerhalb eines Medizinprodukts; mit beabsichtigter/erwarteter Freisetzung aus dem Produkt,
  4. Medizinprodukt mit Nano-Objekten,
  5. Nano-Objekte, die aus einem Medizinprodukt als Produkt des Abbaus, der Abnutzung oder durch mechanische Bearbeitungsprozesse (z. B. Schleifen oder Polieren in situ) freigesetzt werden.

Je nach Kategorie des Nanomaterials sind unterschiedliche Bewertungsstrategien und Endpunkte anwendbar. Zu den Endpunkten können neben den chemischen oder morphologisch-topographische Eigenschaften auch die Oberflächenbeschaffenheit sowie die Betrachtung von Abbauprodukten gehören. Derzeit gibt es noch keine anerkannten Referenzmaterialien für Positiv- und Negativkontrollen. Außerdem kann es teilweise zu unspezifischen Wechselwirkungen mit herkömmlichen Biokompatibilität-Testsystemen kommen. Es ist daher erforderlich, jede Prüfung von Nanomaterialien und Partikeln individuell zu planen. Dazu braucht es eine tiefgehende Analyse der vorliegenden Daten und anwendbaren Normen sowie eine sorgfältige Abstimmung mit dem jeweiligen Prüflabor.

Fazit

Nanomaterialien können gezielt zur Funktionalisierung von Medizinprodukten eingesetzt werden oder als Nebenprodukte bei deren Herstellung oder Anwendung entstehen. Sie stellen besondere Anforderungen an die Risikobewertung – vor allem mit Blick auf die Biokompatibilität. Entsprechende Orientierungshilfen bietet – neben der MDR – die Norm ISO 10993-1 mit ihrem Leitfaden ISO/TR 10993-22.

Enthalten Ihre Medizinprodukte Nanomaterialien? Wissen Sie, welche Risiken von Nanopartikeln ausgehen, die bei der Herstellung oder Anwendung Ihrer Medizinprodukte entstehen? Oder sind Sie gerade dabei, eine geeignete Prüfstrategie zur Biokompatibilität dieser Produkte zu entwickeln und suchen dazu nach fundierter fachlicher Expertise? Wir unterstützen Sie gerne individuell bei Ihrem Anliegen und freuen uns auf Ihre Kontaktaufnahme. Unsere Experten stehen Ihnen jederzeit zur Seite – auch, wenn es z. B. um Fragen der Technischen Dokumentation und des Riskmanagements geht.

Beste Grüße

Dieser Beitrag stammt ursprünglich von Dr. Stefan Sinn. Fragen zum Artikel oder darüber hinaus beantworten wir Ihnen jederzeit gern.
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