Änderungsverordnung (EU) 2023/607: Was steckt hinter den neuen Übergangsbestimmungen für MDR und IVDR?

31.05.2023
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Mitte März 2023 traten mit der Verordnung (EU) 2023/607 neue Übergangsbestimmungen für die EU-Medizinproduktverordnung (Medical Device Regulation (EU) 2017/745, MDR) und EU-Verordnung über In-Vitro-Diagnostika (In vitro Diagnostic Medical Device Regulation (EU) 2017/746; IVDR) in Kraft. Welche neuen Anforderungen stellen sie an die Hersteller von Medizinprodukten und In-Vitro-Diagnostika (IVD)? In diesem Beitrag verschaffen wir Ihnen einen Überblick, erläutern Hintergründe und beantworten häufige Fragen – vom Qualitätsmanagement über die Konformitätsbewertung bis zum Inverkehrbringen der Produkte.

Am 20. März 2023 ist die Verordnung (EU) 2023/607 in Kraft getreten. Mit ihr werden die Übergangsbestimmungen für bestimmte Medizinprodukte angepasst, damit diese noch konform zu den Richtlinien 93/42/EWG und 90/385/EWG und über Mai 2024 hinaus in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden dürfen.

Mit der Verordnung (EU) 2023/607 entfällt auch für In-Vitro-Diagnostika (IVD) die Abverkaufsfrist.

Wir haben neun häufige Fragen der Hersteller zur Verordnung (EU) 2023/607 gesammelt, die wir im Folgenden für Sie beantworten:
  1. Warum wurden die Übergangsbestimmungen angepasst?
  2. Können sich Hersteller mit der Konformitätsbewertung nach MDR jetzt mehr Zeit lassen?
  3. Was bedeutet der Wegfall der sogenannten "Sell-Off"-Regelung (Abverkaufsfrist)?
  4. Welche neuen Regelungen gelten für Zertifikate, die bezüglich den Richtlinien 90/385/EWG oder 93/42/EWG ausgestellt wurden?
  5. Welche neuen Regelungen gelten für Zertifikate, die zwar ab dem 25. Mai 2017 ausgestellt wurden und am 26. Mai 2021 noch gültig waren, die aber vor dem Geltungsbeginn der Änderungsverordnung (EU) 2023/607 am 20.03.2023 abgelaufen sind?
  6. Welche Fristen gelten jetzt für Legacy-Produkte, die nicht fortgeführt werden?
  7. Was gilt außerdem für das Inverkehrbringen von Legacy-Produkten?
  8. Was soll ein förmlicher Antrag auf Konformitätsbewertung enthalten?
  9. Wie sieht es mit der Überwachung der verlängerten Richtlinien-Zertifikate aus?

1 Warum wurden die Übergangsbestimmungen angepasst?

Der Vorschlag zur Änderung der Übergangsbestimmung der Europäische Kommission von Januar 2023 ist bereits am 20. März 2023 in Form der Verordnung (EU) 2023/607 in Kraft getreten. Hinter diesem schnellen Vorgehen stehen zahlreiche triftige Gründe, zum Beispiel:
  • begrenzt verfügbare Kapazitäten bei den Benannten Stellen,
  • einige tausend Zertifikate (Stand Ende 2022), die bis Mai 2024 bezüglich der MDR noch hätten neu ausgestellt werden müssen,
  • Rückmeldungen aus dem EU-Markt zu unmittelbar drohenden Engpässen bei der Verfügbarkeit von Medizinprodukten.
Wichtig zu wissen: Produkte der Klasse I sind weder von den bisherigen noch von den aktuellen Übergangsbestimmungen erfasst und müssen bereits seit 26. Mai 2021 konform zur MDR in Verkehr gebracht werden. Ausgenommen davon sind folgende Produkte: I-steril, I-Messfunktion, I-wiederaufbereitbare chirurgische Instrumente.

2 Können sich Hersteller mit der Konformitätsbewertung nach MDR jetzt mehr Zeit lassen?

Eine wichtige Klarstellung vorweg: Die MDR-Konformität muss in die Wege geleitet werden.
Einige Hersteller haben möglicherweise gehofft, dass Fristen zur Umsetzung der MDR-Anforderungen über Mai 2024 hinaus verlängert werden. Diese Hoffnung wurde mit den neuen Übergangsbestimmungen enttäuscht. Sie müssen weiterhin an ihrem Umsetzungsplan festhalten und bis Mai 2024 entscheidende Schritte hinsichtlich der Konformitätsbewertung nach MDR abgeschlossen haben, um weiterhin Produkte in Verkehr zu bringen. Dazu gehört zum Beispiel die Implementierung eines Qualitätsmanagementsystems (QMS), das den Anforderungen der MDR genügt.
Der unveränderte Zeitplan wird aus dem Ziel und der Begründung der Verordnung (EU) 2023/607 unmissverständlich deutlich: Es geht ausschließlich darum, die Verfügbarkeit von Medizinprodukten sicherzustellen und das Risiko von Versorgungsengpässen für Medizinprodukte und In-Vitro-Diagnostika zu minimieren.

3 Was bedeutet der Wegfall der sogenannten "Sell-Off"-Regelung (Abverkaufsfrist)?

Der Wegfall der Abverkaufsfrist gilt für alle Legacy-Produkte und bezieht sich sowohl auf die MDR als auch auf die IVDR. Damit gemeint sind Produkte,
  • die noch den Richtlinien 93/42/EWG oder 98/79/EG entsprechen und
  • die unter den gemäß MDR und IVDR geltenden Übergangsbestimmungen bereits in Verkehr gebracht worden sind oder noch werden.
Unbegrenzt weiter auf dem Markt bereitgestellt werden können damit
  • vor dem 26. Mai 2021 (MDR, (EU) 2017/745) und vor dem 26. Mai 2022 (IVDR, (EU) 2017/746) unter den jeweiligen Richtlinien in Verkehr gebrachte Produkte sowie
  • Legacy-Produkte, die gemäß den Übergangsbestimmungen der MDR oder der IVDR in Verkehr gebracht worden sind.
Gerade zu den Legacy-Produkten nach 93/42/EWG bzw. nach 90/385/EWG gib es viele Unklarheiten. Nachfolgend beantworten wir auch dazu die wichtigsten Fragen.

4 Welche neuen Regelungen gelten für Zertifikate, die bezüglich den Richtlinien 90/385/EWG oder 93/42/EWG ausgestellt wurden?

  • Zertifikate, die ab dem 25. Mai 2017 ausgestellt wurden, die am 26. Mai 2021 noch gültig waren und die anschließend nicht zurückgezogen wurden, behalten weiterhin ihre Gültigkeit bis zu einem Datum, das auf die Risikoklasse des Produkts bezogen ist:
    • Zertifikate gelten unter den genannten Voraussetzungen bis zum 31. Dezember 2027 bei Produkten der Klasse III und bei implantierbaren Produkten der Klasse IIb (ausgenommen Nahtmaterial, Klammern, Zahnfüllungen, Zahnspangen, Zahnkronen, Schrauben, Keile, Zahn- bzw. Knochenplatten, Drähte, Stifte, Klemmen und Verbindungsstücke).
    • Zertifikate gelten unter den genannten Voraussetzungen bis zum 31. Dezember 2028 bei sonstigen Produkten der Klasse IIb, Produkten der Klasse IIa und Produkten der Klasse I (steril in Verkehr zu bringen oder mit Messfunktion).
Bis zu diesen jeweils genannten Terminen dürfen die jeweiligen Produkte in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden.
  • Produkte, für die die Konformitätsbewertung
    • nach Richtlinie 93/42/EWG bisher nicht die Mitwirkung einer Benannten Stelle erforderte,
    • bereits vor dem 26. Mai 2021 ausgestellt wurde und
    • gemäß der Medizinprodukteverordnung die Einbindung einer Benannten Stelle erfordert (z. B. wiederaufbereitbare chirurgische Instrumente)
dürfen weiter bis zum 31. Dezember 2028 in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden.

5 Welche neuen Regelungen gelten für Zertifikate, die zwar ab dem 25. Mai 2017 ausgestellt wurden und am 26. Mai 2021 noch gültig waren, die aber vor dem Geltungsbeginn der Änderungsverordnung (EU) 2023/607 am 20.03.2023 abgelaufen sind?

Für diese Zertifikate gelten nur dann die genannten auf die Risikoklasse des Produktes bezogenen längeren Gültigkeitszeiträume, wenn eine der folgenden Bedingungen zutrifft:
  • Bereits vor Ende der Gültigkeit des Zertifikats hat der betreffende Hersteller mit einer Benannten Stelle eine schriftliche Vereinbarung über eine Konformitätsbewertung unterzeichnet – entweder für das Produkt, das vom abgelaufenen Zertifikat erfasst ist, oder für ein Produkt, das dieses "abgelaufene" Produkt ersetzen soll.
  • Eine zuständige Behörde eines Mitgliedstaats hat eine Ausnahme von dem anwendbaren Konformitätsbewertungsverfahren gewährt oder den Hersteller aufgefordert, das anzuwendende Konformitätsbewertungsverfahren durchzuführen (diese Abläufe wären dann entsprechend Artikel 59 Absatz 1 MDR oder Artikel 97 Absatz 1 MDR).

6 Welche Fristen gelten jetzt für Legacy-Produkte, die nicht fortgeführt werden?

Kurz gesagt gilt: Besteht nicht die Absicht, dass Produkte nach dem 26. Mai 2024 unter der MDR fortgeführt oder durch Nachfolgeprodukte ersetzt werden, wird sich ein Hersteller auch nicht um ein Konformitätsbewertungsverfahren unter der MDR kümmern. Damit verlieren die unter den Richtlinien 90/385/EWG oder 93/42/EWG ausgestellten Zertifikate spätestens mit dem 27. Mai 2024 ihre Gültigkeit. Das heißt, ab dann ist ein Inverkehrbringen und weitere Bereitstellung im Markt nicht mehr möglich.

7 Was gilt außerdem für das Inverkehrbringen von Legacy-Produkten?

Neben diesen Übergangsbestimmungen sind weitere Bestimmungen zu Legacy-Produkten wichtig, darunter:
  1. Die Produkte müssen weiterhin der Richtlinie 90/385/EWG beziehungsweise der Richtlinie 93/42/EWG entsprechen.
  2. Es liegen keine wesentlichen Veränderungen der Auslegung und der Zweckbestimmung vor (siehe dazu auch MDCG 2020-3).
  3. Die Produkte stellen kein unannehmbares Risiko für die Gesundheit oder Sicherheit der Patienten, Anwender oder anderer Personen oder für andere Aspekte des Schutzes der öffentlichen Gesundheit dar.
  4. Der Hersteller hat spätestens am 26. Mai 2024 ein Qualitätsmanagementsystem (QMS) gemäß Artikel 10 Absatz 9 MDR eingerichtet.
  5. Der Hersteller (oder der Bevollmächtigte) hat spätestens am 26. Mai 2024 bei einer Benannten Stelle einen förmlichen Antrag auf Konformitätsbewertung für das Legacy-Produkt oder für ein das Legacy-Produkt ersetzendes Produkt gestellt, und die Benannte Stelle und der Hersteller haben spätestens am 26. September 2024 eine schriftliche Vereinbarung über die Konformitätsbewertung unterzeichnet.

8 Was soll ein förmlicher Antrag auf Konformitätsbewertung enthalten?

Ende März 2023 hat die EU-Kommission ein Q&A-Dokument veröffentlicht. Darin werden folgende Voraussetzungen genannt, die für einen förmlichen Antrag erfüllt sein sollen:
  • Der Antrag muss die Dokumentation zum Qualitätsmanagementsystem (QMS) aber nicht die Technische Dokumentation für jedes Produkt enthalten, das Gegenstand des beantragten Konformitätsbewertungsverfahrens sein soll.
  • Der Antrag muss klarstellen, welche Produkte Gegenstand der Konformitätsbewertung sein sollen.
  • Der Antrag muss klar darstellen, welche MDR-Produkte welche Legacy-Produkte ersetzen sollen.
  • Mit dem Antrag muss es der Benannten Stelle möglich sein, alle im Antrag aufgeführten Produkte als Medizinprodukte zu identifizieren.
  • Idealerweise sollte der Hersteller einen Plan mitliefern, der darstellt, wann die für die Konformitätsbewertung erforderlichen Technischen Dokumentationen (oder sonstige relevante Information) zur Verfügung stehen.

9 Wie sieht es mit der Überwachung der verlängerten Richtlinien-Zertifikate aus?

Grundsätzlich gilt: Jene Benannte Stelle, die unter der 90/385/EWG oder der 93/42/EWG Zertifikate ausgestellt hat, bleibt für die Überwachung verantwortlich. Dieser Grundsatz gilt nicht, wenn der Hersteller eine Übereinkunft mit einer unter der MDR Benannten Stelle trifft, die Überwachung zu übernehmen.

Spätestens ab dem 26. September 2024 ist die Benannten Stelle für die Überwachung zuständig, die mit dem Hersteller die schriftliche Vereinbarung über die Konformitätsbewertung jener Produkte getroffen hat, die unter der MDR weitergeführt oder die die Legacy-Produkte ersetzen werden.

Fazit

Mit der Verordnung (EU) 2023/607 traten Mitte März 2023 neue Übergangsbestimmungen in Kraft. Es entfällt die Abverkaufsfrist für sogenannte Legacy-Produkte und es gibt unter bestimmten Voraussetzungen einige Änderungen mit Blick auf die Gültigkeitsdauer der Zertifikate nach 90/385/EWG oder 93/42/EWG. Keine zeitlichen Erleichterungen gibt es allerdings beim Umsetzungsplan für die Konformitätsbewertung nach MDR. Die Hersteller von Medizinprodukten und In-Vitro-Diagnostika (IVD) müssen bis Mai 2024 die dafür entscheidenden Schritte abgeschlossen haben – beispielsweise die Einrichtung eines MDR-konformen Qualitätsmanagementsystems (QMS).

Haben Sie sich mit Ihren Produkten in den beschriebenen Szenarien wiedererkannt? Überlegen Sie gerade, wie Sie mit Ihren Legacy-Produkten umgehen sollen? Oder stockt gerade der Umsetzungsplan für die Konformitätsbewertung nach MDR? Kommen Sie gerne auf unser Team zu und besprechen Sie mit uns Ihren MDR-Status bzw. IVDR-Status in einem unverbindlichen und kostenfreien Erstgespräch. Wir freuen uns darauf, gemeinsam mit Ihnen individuelle Lösungen zu finden.

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Klaus Ostermayer
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