Von Drachen und von Helden, die auf sich warten lassen

01.03.2019
Drache und Held: Der richtige Entscheidungsprozess für komplexe Herausforderungen
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Kommentar von Alexander Fink, CEO der Metecon GmbH

Da wartet er, der böse Drache, zum Angriff bereit. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder wird er uns vernichten, alles in Schutt und Asche legen oder … Zum Glück, da kommt er: unser Held in glänzender Rüstung, der den Drachen besiegt und damit alles Unheil abwendet.

Wie den Drachen im Märchen, so kommt es mir vor, empfinden viele Medizintechnikunternehmen die MDR als Bedrohung, die vor den Toren der Stadt lauert. Aber den strahlenden Helden, der den Kampf gegen den Drachen wagt und gewinnt, den wird es wohl nicht geben. Zumindest hat man von derart erfolgreichen Alleingängen bislang noch nichts gehört. Wie kommt’s?

Der Grund dafür ist simpel: Es handelt sich hier um zwei ganz unterschiedliche Arten von Herausforderungen, die ganz unterschiedliche Handlungsmuster und Entscheidungsprozesse benötigen. Die Unterschiede liegen in der Komplexität, also der Kombination aus Vorhersehbarkeit dessen, was passiert, und der Vielfalt der möglichen Reaktionen auf eine Maßnahme.

Mit klassischen Entscheidungsprozessen, wie sie in Unternehmen üblich sind, reagiere ich, wenn sowohl die Vorhersehbarkeit eingeschränkt, als auch die Vielfalt der Reaktionen überschaubar ist (s. Grafik „Klassischer Entscheidungsprozess“): Man einigt sich auf einen Maßnahmenplan und entscheidet sich für dessen Durchführung, bewertet anschließend das Ergebnis und behält den eingeschlagenen Weg bei oder verwirft ihn.



Anders sollte der Entscheidungsprozess verlaufen, wenn wir vor komplexen Aufgaben stehen, vor Herausforderungen, bei denen Änderungen an einer Stelle des Systems Auswirkungen auf das Gesamtsystem haben, wenn also die Vorhersehbarkeit der Auswirkungen meiner Maßnahmen immer noch eingeschränkt ist, jedoch die möglichen Reaktionen auf meine Maßnahmen sehr hoch sind. Dann sollte ein Vorgehen gewählt werden, das sich eher an evolutionären Entwicklungen orientiert (siehe Grafik „Evolutionärer Entscheidungsprozess“): Hier wird eine qualitativ andere Entscheidung getroffen, nämlich die über den Nutzen der durchgeführten Maßnahmen: Werden die Maßnahmen beibehalten, geändert oder verworfen? Der evolutionäre Entscheidungsprozess bedarf einer ständigen Reflexion und Bewertung seiner Ergebnisse.



Am Beispiel der MDR wird der Unterschied zwischen beiden Entscheidungswegen deutlich: Wenn ich den Prozess zur Post-Market Surveillance anpassen möchte, sind in der Regel nur eine überschaubare Anzahl von Schnittstellen betroffen und ich kann die Auswirkungen im Einzelnen noch absehen und beherrschen. Diese Aufgabe kann ich nach klassischen Entscheidungsprozessen an ein kleines Team oder eine einzelne Person übertragen.
Die Überarbeitung der Technischen Dokumentationen von vielen, ggf. sogar hunderten von Produkten in verschiedensten Produktgruppen mit allen Aspekten von Usability, biologischer Sicherheit, Risikomanagement, Labelling, etc. ist in der Vielfalt der Auswirkungen von Änderungen und Maßnahmen so komplex, dass ich mit klassischen Entscheidungsprozessen von einzelnen Personen oder kleinen Teams große Schwierigkeiten habe, über die Planungsphase hinaus und in die Umsetzung zu kommen.

Sicherlich kann nicht jede Herausforderung der MDR mit diesem Entscheidungsprozess abgebildet werden. Wichtig ist dennoch, dass allen Beteiligten klar ist, dass es allein aufgrund der Komplexität der Herausforderung gar nicht möglich ist, vorab einen allumfassenden und dann auch sicher funktionierenden Plan zu erstellen, wie man die notwendigen Veränderungen zur Anpassung an die MDR in so vielen Bereichen des Unternehmens zielsicher umsetzen wird.

Vielmehr bedarf es eines Kernteams, das Regeln zur Bewertung und Entscheidung des Nutzens aufstellt und regelmäßig die vorab sehr wohldurchdachten, verschiedenen Maßnahmen auf ihren Nutzen und die Auswirkungen im Zusammenspiel mit anderen Veränderungen bewertet und über Beibehaltung oder weitere Anpassungen entscheidet. Ich bin davon überzeugt, dass nur mit diesem Bewusstsein über die Notwendigkeit der kontinuierlichen Verbesserung ein so herausforderndes Unterfangen von derart hoher Komplexität erfolgreich angegangen werden kann.

Ein weiterer positiver Effekt dieser Vorgehensweise: Es bleibt mehr Raum sich auszuprobieren, und damit sinkt die Hemmschwelle, um endlich anzufangen. Wer die perfekte Lösung im ersten Schuss sucht, wird sich schwertun, den Anfang zu machen und die Entscheidung zum Loslegen zu treffen. Und dann verrinnt wertvolle Zeit, die nachher für die Umsetzung fehlt.
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