Nicht-interventionelle Studien (NIS) und wie Sie sie nutzenbringend einsetzen

23.06.2021
Bild eines Arztes mit Stethoskop in der Hand
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Aufgrund gestiegener Anforderungen an PMCF und klinische Daten erreichen uns in jüngster Zeit vermehrt Anfragen zu nicht-interventionellen Studien (NIS). Unsere Regulatory und Clinical Affairs-Experts Marie-Laure Castelain und Julia Baumann geben Ihnen alle wichtigen Informationen zu NIS und ihre besten Tipps für Ihre Praxis.

Schauen wir kurz zurück: 2007 vermerkte der Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V., dass es Studientypen gibt, die nicht unter die Definition einer klinischen Studie fallen, und für die in Deutschland meistens der Begriff "Anwendungsbeobachtung" verwendet wird. Bereits im August 2004 wurde mit Umsetzung der EG-Richtlinie „Harmonisierung klinischer Prüfungen in der EU“ in deutsches Recht die folgende Definition für nicht-interventionelle Prüfungen neu in das deutsche Arzneimittelgesetz (AMG) in § 4 Nr. 23 aufgenommen:

"'Nicht-interventionelle Prüfung' ist eine Untersuchung, in deren Rahmen Erkenntnisse aus der Behandlung von Personen mit Arzneimitteln gemäß den in der Zulassung festgelegten Angaben für seine Anwendung anhand epidemiologischer Methoden analysiert werden; dabei folgt die Behandlung einschließlich der Diagnose und Überwachung nicht einem vorab festgelegten Prüfplan, sondern ausschließlich der ärztlichen Praxis."

17 Jahre später liegt uns durch die ISO/FDIS 14155:2020-02, I.6.3 endlich folgende Definition für die MedTech-Branche vor:

Definition (ISO/FDIS 14155:2020-02, I.6.3)
"...'nicht-interventionelle klinische Prüfung' ist eine klinische Prüfung nach dem Inverkehrbringen, bei der das Medizinprodukt in Übereinstimmung mit seiner genehmigten Kennzeichnung verwendet wird. Die Zuordnung eines Prüfungsteilnehmers zu einem bestimmten Medizinprodukt wird nicht im Voraus durch einen Klinischen Prüfungsplan (CIP) entschieden, sondern fällt unter die gängige klinische Praxis. Bei den Prüfungsteilnehmern werden keine zusätzlichen invasiven oder belastenden Diagnose- oder Überwachungsverfahren angewandt und für die Analyse der gesammelten Daten werden epidemiologische Methoden verwendet."
HINWEIS: Im Allgemeinen sind "beobachtende" klinische Prüfungen "nicht-interventionell".

Einfach ausgedrückt bedeutet das: Im Kontext einer NIS werden zugelassene Medizinprodukte wie vorgesehen am Patienten eingesetzt. Neben der spezifizierten klinischen Praxis erfährt der Patient keine zusätzlich (studienbedingte) belastende Intervention.

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(1) Prüfungsteilnehmer oder Patient?

Entgegen der oben zitierten, offiziellen Definition sprechen wir im Kontext einer NIS nicht länger von einem Prüfungsteilnehmer, sondern vom Patienten. Prüfungsteilnehmer sind gem. MDR Art. 2 (50) nämlich Personen, die an einer klinischen Prüfung teilnehmen; NIS hingegen finden in der gängigen klinischen Praxis statt.

(2) Plan: ja oder nein?

Laut Definition braucht es keinen CIP, aber ist das wirklich die richtige Lösung? Anhang A der 14155 klärt auf: Hier wird festgehalten, dass die Anforderungen an den CIP für eine Anwenderbeobachtung in Teilen zu erfüllen ist und teils begründet ausgelassen werden kann. Unterm Strich bleibt nicht mehr viel Unbekanntes, was Sie in den Beobachtungsplan schreiben können, da die meisten Inhalte durch die Zulassungsdokumentation bereits vorgegeben sind.

(3) Potenziell belastend/invasiv oder nicht?

Der Arbeitskreis Medizinische Ethik-Kommission in der Bundesrepublik Deutschland e.V. hat gemäß dem Beschluss zur Mitgliederversammlung am 11.11.2016 eine unvollständige Liste an Beispielen für etwaige zusätzliche (studienbedingte) Untersuchungsbelastungen dokumentiert. Hierzu zählen Ultraschalluntersuchungen, Blutentnahmen und Provokationstests etc.
Dieses Thema wird ebenfalls in der neuen MDCG 2021-6 von April 2021 erklärt: Belastende Untersuchungen werden als Verfahren definiert, die Schmerzen, Unbehagen, Angst, potenzielle Risiken oder Komplikationen/Nebenwirkungen, Störungen des Lebens und persönlicher Aktivitäten oder anderweitig unangenehme Erfahrungen verursachen können. Invasive Verfahren werden als Eindringen in das Körperinnere durch die Körperoberfläche, auch durch Schleimhäute von Körperöffnungen, oder das Eindringen in eine Körperhöhle über eine Körperöffnung definiert. Die MDCG erwähnt auch, dass sich das Verständnis dessen, was als invasiv oder belastend angesehen wird, wahrscheinlich im Laufe der Zeit weiterentwickelt.

(4) Finden Sie einen motivierten Studienarzt,

der z. B. Interesse an einer wissenschaftlichen Publikation hat. So unterstützen Sie ggf. auch gleich Ihr Marketing.

(5) Diskutieren Sie im Vorfeld mit Ihren ärztlichen Kontakten,

wie die klinische Praxis für Ihr spezielles Medizinprodukt aussieht, damit Sie entsprechend den Beobachtungsplan verfassen können.

(6) Definieren Sie Ihre Ziele der Studie und verfassen Sie einen Beobachtungsplan,

um etwaige Beobachtungen systematisch durchzuführen und damit Ihnen keine wichtigen Informationen entgehen.

(7) Diskutieren Sie im Vorfeld die Akzeptanz eines zusätzlichen Verfahrens

(z. B. Sehtest, Fragebogen, Gehtest usw.) in Bezug auf Risiken und Belastungen für die Patienten, um diese entsprechend zu begründen. In der Regel sind Fragebögen zumutbare zusätzliche Verfahren.

(8) ACHTUNG: Das sind keine Beobachtungsstudien:

  • Die Nutzung eines Medizinprodukts über seinen bestimmungsgemäßen Gebrauch hinaus darf nicht in einer Beobachtungsstudie stattfinden! In diesem Fall muss eine klinische Prüfung stattfinden -> siehe MDR Artikel 74(2): "Wird eine klinische Prüfung durchgeführt, die der Bewertung eines Produkts, das bereits die CE-Kennzeichnung gemäß Artikel 20 Absatz 1 trägt, außerhalb seiner Zweckbestimmung dient, so gelten die Artikel 62 bis 81 (aka Anforderungen an "richtige" Klinische Prüfungen)."
  • Wird ein Medizinprodukt ohne CE benutzt, entspricht das nicht der klinischen Praxis, d. h. Beobachtungsstudien sind per Definition immer Post-Market-Studien.
  • Sobald die Studie randomisiert ist, ist die Studie nicht mehr "beobachtend" (siehe ISO 14155:2020, I.4.4).

(9) Eine NIS ist also eine Post-Market Clinical Follow-Up (PMCF)-Studie ohne zusätzlich belastende oder invasive Verfahren.

Über die ISO 14155 hinaus werden weder in der MDR noch im MPDG Anforderungen an diese Studien definiert; d. h. dass für sie keine Anzeige- oder Genehmigungspflicht bei der Ethik-Kommission oder der Bundesoberbehörde gilt. Jedoch ist die Pflicht für involvierte Prüfärzte zu beachten, sich nach Berufsrecht (s. § 15 der Berufsordnung) durch die für sie zuständige Ethik-Kommission beraten zu lassen. Serious Adverse Events (SAEs) müssen nicht gemeldet werden, die Meldepflicht für Vorkommnisse ist zu beachten. Die Handhabung entspricht damit der jetzigen Regelung für klinische Prüfungen, die die Kriterien nach § 23b MPG erfüllen.

(10) Konträr dazu müssen PMCF-Studien gemäß Art. 74 MDR (mit zusätzlich belastenden oder invasiven Verfahren = KEINE NIS) bei der Bundesoberbehörde angezeigt werden

(s. § 85 Nr. 6 MPDG). Die Anzeige hat 30 Tage vor Beginn der Prüfung zu erfolgen. Unberührt davon bleibt die Pflicht für involvierte Prüfärzte, sich nach Berufsrecht durch die Ethik-Kommission beraten zu lassen.

Wenn Sie weitere Fragen zum Thema haben, melden Sie sich bitte bei uns. Wir freuen uns auf den unverbindlichen Austausch mit Ihnen.

Beste Grüße
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Julia Baumann
Julia Baumann
Medical Device Expert
Technical Documentation & Regulatory Affairs
Marie-Laure Castelain
Marie-Laure Castelain
Medical Device Expert
Clinical Affairs & PMCF
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