Post-Brexit: Die neu gültige Gesetzgebung und bisherige Erfahrungen

26/07/2021
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Zum Brexit hatte Bruntje Schmidt, Quality Management Expert bei Metecon, bereits im Januar die wichtigsten Fakten und die damit verbundenen Herausforderungen für den Marktzugang in UK für Sie recherchiert. Ein halbes Jahr nach dem Brexit schaut sie noch einmal genau hin: Gibt es erste Post-Brexit-Erfahrungen zu teilen? Und was sind die wichtigsten Neuigkeiten aus UK?

Was bisher geschah: Das regulatorische UK im Post-Brexit


Lange vor dem Brexit wurde von der Regierung in UK bereits festgelegt, dass weder die EU-MDR noch die EU-IVDR in UK Anwendung finden sollen. Die aktuell nach dem Brexit gültigen Rahmenbedingungen für die Regulierung von Medizinprodukten in UK sind durch die UK MDR 2002 gegeben. In diesem regulatorischen Rahmenwerk wurden die Richtlinie 93/42/EEC über Medizinprodukte (EU MDD), die Richtlinie 90/385/EEC über aktive implantierbare medizinische Geräte (EU AIMDD) und die Richtlinie 98/79/EC über In-vitro-Diagnostika (EU IVDD) vereinigt; Medizinprodukte werden nach diesen Anforderungen in UK in Verkehr gebracht.

Die Implementierung der EU-MDR belastet die Medizinproduktehersteller außerhalb des UK ohnehin derzeit enorm; zusätzlich müssen sie die Technische Dokumentation für Produkte für den Markt in UK auch weiterhin auf Grundlage der Anforderungen aus der MDD aktuell halten. Für Produkte designiert für den UK-Markt muss somit eine zusätzliche Technische Dokumentation aufrechterhalten werden, was einen doppelten Aufwand für europäische Medizinproduktehersteller darstellt.

Während die Medizinproduktehersteller bereits mit der Einführung der EU-MDR am 26.05.2021 alle Hände voll zu tun hatten, hat am 11. Februar 2021 zudem noch das neue Medicines and Medical Devices Act 2021 (MMD Act) als Gesetz zur Regelung von Arzneimitteln und Medizinprodukten königliche Genehmigung erhalten und tritt als neue Gesetzgebung in UK in Kraft. Somit wurde nun auch etwa einen Monat nach dem Brexit ein gesetzliches Rahmenwerk zur Regulierung von Medizinprodukten geschaffen, das weiter Licht in die regulatorischen Anforderungen für Medizinprodukte auf dem UK-Markt bringen soll. Das deutet darauf hin, dass nun bald die aktuell gültigen regulatorischen Anforderungen in UK, zusammengefasst in der UK MDR 2002, eine grundlegende Überarbeitung erfahren könnten.

MMD Act: Welche gesetzlichen Rahmenbedingungen werden geschaffen?


In dem neu veröffentlichten und gültigen MMD Act werden dem Secretary of State (SoS) for Health, Sajid Javid, die Befugnisse verliehen, aktuell bestehende regulatorische Rahmenbedingungen zur Regulierung von Medizinprodukten nach seinem Ermessen zu ändern. Dem Gesundheitsminister wird damit eine sehr große Befugnis zugesprochen, was die Änderungen von Gesetzen zur Regulierung von Medizinprodukten angeht. Durch den beschleunigten Zulassungsweg im UK-Parlament könnte Javid so neue Regularien und Gesetzesänderungen zügig auf den Weg zu bringen, was wiederum natürlich Auswirkungen für die Medizinproduktehersteller in puncto Inverkehrbringen von Medizinprodukten in UK haben könnte.

Die UK-Regierung sieht das Inkrafttreten des MMD Acts als wesentlichen Schritt, dass das Vereinigte Königreich seine eigenen regulatorischen Rahmenbedingungen zur Regulierung von Medizinprodukten vorantreiben kann. Die ersten Gesetzesänderungen unter dem neuen MMD-Gesetz werden höchstwahrscheinlich schneller veröffentlicht werden, als man das bisher in der Roadmap des Brexits für möglich hielt, jetzt, da der gesetzliche Rahmen hierfür gesteckt ist. Wie die Änderungen aussehen werden und wie schnell diese nun durchgesetzt werden können, kann zu diesem Zeitpunkt keiner beantworten. Auch wird es spannend, wie weit sich die regulatorischen Anforderungen von den europäischen entfernen werden, was für ein Aufwand auf die Hersteller für das Inverkehrbringen der Produkte auf dem UK-Markt zukommen wird und welche Rolle hierbei künftig die UK-MDR spielen wird.

Vergleichbar mit der EU-MDR, die ein großes Augenmerk auf Patientensicherheit legt, ist auch im MMD Act die Patientensicherheit von zentraler Bedeutung für die Vision der Regierung, den National Health Service (das staatliche Gesundheitssystem in Großbritannien und Nordirland) zu modernisieren und die Patientensicherheit im gesamten System zu verbessern. Deshalb wird mit dem MMD Act ein neuer Posten mit dem Beauftragten für Patientensicherheit (Commissioner for Patient Safety (PSC)) installiert. Dieser PSC wird, vergleichbar mit dem Datenschutzbeauftragten im europäischen Raum, ein unabhängiger gesetzlicher Amtsträger sein, der vom Ministerium für Gesundheit und Soziales (DHSC) finanziert und vom Außenminister ernannt wird.

Durch den MMD Act wird der PSC mit gesetzlichen Befugnissen ausgestattet. Der Beauftragte ist bspw. befugt, den zuständigen Behörden und unabhängigen Gesundheitsdienstleistern Berichte oder Empfehlungen zum Thema Patientensicherheit zu unterbreiten oder Informationen anzufordern. Somit rückt die Patientensicherheit auch ohne Implementierung der Anforderung von EU-MDR und EU-IVDR in den Vordergrund. Ob hier eine direkte Kommunikation zum PSC von Medizinprodukteherstellern bzw. deren UKRP erfolgen muss und wie diese aussehen wird, muss von den Medizinprodukteherstellern im Auge behalten werden.

Analog zur EUDAMED in Europa soll ein Informationssystem installiert werden, um Medizinprodukte zu registrieren, nachzuverfolgen, Informationen aus PMS und Vigilanz zu managen und um Marktüberwachung durchzuführen. Dies ist ebenfalls im MMD Act verankert und gibt Hinweis darauf, dass das aktuelle System zur Registrierung von Medizinprodukten überarbeitet werden soll. Wie dieses neuartige Informationssystem in UK aussehen wird und wann es veröffentlicht werden soll, ist bislang allerdings unbekannt.

Erfahrungen: UKRP, Ressourcen und weitere Herausforderungen


Neben der Einführung der EU-MDR stellt der Zugang zum UK-Markt für Medizinproduktehersteller auch ein halbes Jahr nach dem Brexit einen deutlichen Mehraufwand dar. Eine große Herausforderung ist für viele Medizinproduktehersteller gegenwärtig die Suche nach einer geeigneten UK-Responsible Person. Wer keine Niederlassung ansässig in UK besitzt, die als UKRP fungieren kann, ist darauf angewiesen, auf dem freien Markt in UK nach geeigneten rechtlichen Vertretern zu suchen.

Bis dato gibt es keine spezifischen Qualifikationskriterien an die UKRP. Es ist lediglich beschrieben, dass sie für die von ihnen geforderten Tätigkeiten kompetent und geeignet sein müssen. Einige Dienstleister haben sich deshalb auf den Service spezialisiert, als UKRP für die Hersteller einzutreten. Allerdings sollte man sich hier gewissenhaft mit den vertraglichen Regelungen auseinandersetzen, um einerseits alle regulatorischen Anforderungen zu erfüllen und andererseits ein solides Rahmenwerk für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zu gewährleisten. Denkbar wäre auch, dass ein UK-Importeur oder -Händler diese Rolle übernehmen kann. Allerdings muss hier genaustens festgehalten werden, welche Aufgaben und Verantwortlichkeiten vom UK-Importeur/-Händler gegenüber dem Hersteller zu erfüllen sind. Weiterhin muss der UK-Importeur/-Händler auch bereit sein, als juristische Person für den Hersteller einzustehen. Wir konnten schon Rückmeldungen von Herstellern verzeichnen, deren UK-Importeur/-Händler nicht bereit war, solch eine juristische Verpflichtung einzugehen.

Weiterhin ist nur eine UKRP für einen legalen Hersteller erlaubt. Dies kann entweder eine natürliche Person sein oder wie im Falle des EU-Repräsentanten oder der PRRC eine Organisation, in der die Aufgaben auf mehrere Personen verteilt sind. Bindet man sich nun an einen UK-Importeur/-Händler, kann es durchaus passieren, dass man sich hier in eine wirtschaftliche Abhängigkeit begibt und nicht mehr frei am UK-Markt agieren kann, je nachdem welche Bedingungen der UK-Importeur oder -Händler an den Hersteller für die Übernahme der Rolle als UKRP stellt.

Die Frage nach der Wirtschaftlichkeit ist für viele Hersteller relevant, weil neben der Erfüllung der Anforderungen der EU-MDR auch noch Strukturen für den Marktzugang in UK geschaffen werden müssen. Dazu zählen:
  • die Beauftragung einer UKRP,
  • die Aufrechterhaltung einer zweiten Technischen Dokumentation nach UK-Regularien parallel zu MDR- und IVDR-Anforderungen für die Medizinprodukte,
  • die Umstellung der Produktkennzeichnung von UK-Produkten,
  • die Implementierung der Konformitätsbewertungsverfahren nach UK-Regularien und
  • die Kommunikation mit der UK-Benannten Stelle zusätzlich zur Kommunikation mit der EU-Benannten Stelle für die Zulassung von Medizinprodukten.

Ressourcentechnisch stellt die Erfüllung der regulatorischen Anforderungen beider Zielmärkte einen Mehrbedarf dar. Ähnlich wie bei der Einführung der MDR ist ein Trend zu beobachten, dass einige Hersteller Ihr Produktportfolio überarbeiten und nicht mehr alle Produkte nach UK liefern wollen.
Vielleicht besteht auch für Sie als Medizinproduktehersteller nun die Chance, Ihr Produktportfolio anzupassen und Produkte abzukündigen, die wirtschaftlich nicht rentabel für die Bereitstellung auf dem UK-Markt sind. Da das UK jetzt als Drittland und somit als eigenständiger Markt gilt, muss hier genauso wie in anderen Märkten die Rentabilität abgewogen werden.

Auch wenn die Hürden für die Hersteller nach dem erfolgten Brexit hoch erscheinen, gibt es auch positive erste Meldungen einer UK-Benannten Stelle zu vernehmen: Bereits kurz nach dem Brexit hat das erste Medizinprodukt nach den neuen UK-spezifischen regulatorischen Anforderungen ein UKCA-Zertifikat erlangt und somit Zulassung für den Zugang auf den UK-Markt erhalten. Und das in Rekordzeit, obwohl bislang nur drei UK-Benannte Stellen in UK anerkannt sind!

Dieser reibungslose Ablauf ist ein wichtiges positives Signal, um Herstellern in der EU den Sprung auf den UK-Markt als lohnenswert aufzuzeigen. Jedoch zeigen die aktuellen Zahlen auch deutlich, dass die bislang wenigen als UK-Benannte Stellen in UK-anerkannten Institutionen eine Engstelle darstellen können: Während es vor Umstellung auf die MDR noch 58 Benannte Stellen nach MDD in ganz Europa gab, sind bisher nur drei UK-Benannte Stellen in UK anerkannt. Je nach Medizinprodukteklasse sollte deshalb rechtzeitig der Kontakt zur UK-Benannten Stelle gesucht werden, um Wartezeiten beim Zulassungsverfahren des Medizinprodukts zu vermeiden.

Fazit


Der Sprung auf den UK-Markt ist mit der richtigen Planung und Implementierung der regulatorischen Anforderungen machbar: Wählen Sie Ihre UKRP mit Bedacht, stellen Sie Ihr Regulatory Affairs-Team entsprechend auf und nehmen Sie die regulatorischen Anpassungen sobald als möglich vor, dann stehen Ihre Chancen für ein zügiges Inverkehrbringen gut. Ebenso raten wir zur frühzeitigen Kontaktaufnahme zu den UK-Benannten Stellen, um Verzögerungen für den Markteintritt aufgrund von Engpässen zu vermeiden. Für Produktentwicklungen sollten rechtzeitig die regulatorischen Anforderungen für den CE- und UKCA-Markt analysiert werden, um die Anforderungen des jeweiligen Zielmarktes rechtzeitig zu berücksichtigen. Jedoch sollten Sie als Hersteller sich vorher genau darüber im Klaren sein, wie hoch Rentabilität und Marktanteil Ihrer Medizinprodukte im gesamten Produktportfolio sind.

Wir halten weiterhin Augen und Ohren offen, um zeitnah von Neuerungen zu berichten und Sie so auf dem Laufenden in Sachen Post-Brexit-Regulatorik zu halten. Wenn Sie bis hierher Fragen haben, stehe ich Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung.

Herzliche Grüße
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Bruntje Schmidt
Bruntje Schmidt
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